Über ein Jahrhundert lang prägte die Farbstoffchemie das Klybeck. Mit der Fusion von Ciba und Geigy erhielt dieser Industriezweig 1970 seinen letzten Wachstumsschub. Doch schon einige Jahre später war der Niedergang nicht mehr aufzuhalten.
Text von Michael Mildner, Fotos von Adriano A. Biondo und aus dem Novartis-Firmenarchiv, lllustration von Capucine Matti
Ciba-Fabrikationshalle für Farbstoffe.
Der 20. Oktober 1970 ist ein schicksalhaftes Datum in der Basler Industriegeschichte. An diesem Tag mussten die Aktionäre von Geigy und Ciba über die Zukunft der beiden Firmen entscheiden.
Bei Geigy war die Spannung im grossen Festsaal der Mustermesse deutlich spürbar, als sich die Aktionäre am Vormittag trafen. Sollte ihr weltbekanntes und erfolgreiches Unternehmen nach über 200 Jahren seine Eigenständigkeit verlieren? Oder wäre ein Alleingang doch die bessere Lösung? Viele Mitarbeitende hatten Angst um ihre Stelle und waren keineswegs begeistert von den Fusionsplänen.
Schliesslich setzten sich der Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung mit ihren rationalen Argumenten für die Fusion durch. Arbeitskräfte und Kapital liessen sich so besser nutzen, die geografische Verteilung des Geschäfts wurde ausgewogener. Ausserdem ergänzten sich die Produktsortimente beider Firmen sehr gut. Der Weg für die Basler Hochzeit, wie der Zusammenschluss bezeichnet wurde, war mit der Zustimmung der Geigy-Aktionäre frei. Nun fehlte noch das Votum von Ciba.
Zwei Stunden nachdem die Geigy-Aktionäre der Fusion zugestimmt hatten, sass der 28-jährige Ciba-Laborant Peter Schad im ersten Stock der Klybeck-Kantine. Hier trafen sich die Aktionäre seines Arbeitgebers, um ebenfalls über die Fusion abzustimmen.
Anders als bei Geigy herrschte bei der Ciba-Versammlung eine durchwegs positive Stimmung. Peter Schad erinnert sich noch gut an diesen Tag: «Bei Ciba waren eigentlich alle für die Fusion. Für uns sah es so aus, als ob wir die Geigy übernehmen würden, schliesslich sollte ja unser Verwaltungsratspräsident, Robert Käppeli, die neue Firma leiten.»
Mit der Annahme der Fusion durch die Ciba-Aktionäre war es dann so weit. Mehr als 100 Jahre nach der ersten Anilinfarbenproduktion im Klybeck entstand mit der Ciba-Geigy ein Weltkonzern mit über 70 000 Mitarbeitenden und mit Hauptsitz im Klybeck.
«Es war eine sehr spannende Zeit für die Mitarbeitenden», sagt Peter Schad. «In vielen chemischen Bereichen, wie etwa bei den Farbstoffen und Pflanzenschutzmitteln, war die Ciba-Geigy damals weltweit führend. Auch im Pharmabereich standen die Zeichen auf Wachstum, und wir hatten hohe Erwartungen an die Zukunft unseres Unternehmens.»
Ciba-Werk Klybeck: Standen für Farbstoffproduktion.
Die Basis für diese Erfolge hatte Alexander Clavel 1864 mit der ersten Farbenfabrik im Klybeck gelegt. Noch lange Zeit danach, bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, blieben die Farbstoffe das wichtigste und lukrativste Geschäftsfeld für Unternehmen wie Ciba, Geigy und Sandoz.
Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs war der Weltmarkt für Textilfarbstoffe fast vollständig unter deutschen und Schweizer Firmen aufgeteilt, wobei Deutschland den Grossteil der synthetischen Farbstoffe herstellte. Als die Deutschen nach Kriegsausbruch ihre Ausfuhren sperrten, erhöhte sich die Nachfrage nach Basler Farbstoffen schlagartig.
So erstaunt es nicht, dass die drei gros-sen chemischen Unternehmen in Basel während des Ersten Weltkriegs ihre Umsätze markant erhöhen konnten. Zwischen 1913 und 1920 stiegen die Farbstoffexporte auf 211 Millionen Franken. Das entspricht etwa dem Siebenfachen des Umsatzes im letzten Friedensjahr 1913.
Zusätzlich zu den Textilfarbstoffen nahmen die Basler Betriebe mit der Zeit weitere Chemikalien in ihr Sortiment auf. Nach dem Ersten Weltkrieg begann die Nachfrage nach Agrochemikalien, fotografischen Präparaten, Kunststoffen und anderen chemischen Spezialitäten rapide zu steigen, so dass die Produktionsstätten im Klybeck voll ausgelastet waren.
In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen baute vor allem Ciba ihr Angebot an hochwertigen Farbstoffspezialitäten weiter aus. Sie hatte erkannt, dass im immer härter werdenden internationalen Wettbewerb nur bestehen konnte, wer sich laufend durch Innovationen von der Konkurrenz abhob. Die so erzielten, kurzlebigen Monopole auf dem Farbenmarkt ermöglichten höhere Gewinnmargen – eine Strategie, die auch in den folgenden Jahrzehnten mit Erfolg weitergeführt wurde.
Im Klybeck waren die Spuren der guten Geschäftslage deutlich zu sehen. Eine Karte zeigt, dass sich 1905 praktisch alle industriellen Anlagen der Ciba zwischen dem Horburggottesacker und dem Rhein befanden. Im Norden und Süden gab es vor allem grüne Wiesen. 35 Jahre später, 1940, dehnten sich die Produktionsanlagen von Ciba dann schon bis nach Kleinhüningen und zur Stadt Basel hinaus.
Auch im Ausland konnten die Basler Chemiefirmen ein starkes Wachstum verzeichnen. Dass zwischen den beiden Kriegen viele neue Tochtergesellschaften gegründet worden waren, erwies sich als besonders wertvoll. Weil die neutrale Schweiz im Zweiten Weltkrieg von den Achsenmächten komplett eingeschlossen und vom Weltmarkt isoliert war, gewannen diese zusätzlichen Produktionswerke an Bedeutung.
Peter Schad, langjähriger Leiter des Textilphysikalischen Prüflabors der Ciba.
Trotz mancher Schwierigkeiten, die es während des Zweiten Weltkriegs etwa bei den Kohlelieferungen aus Deutschland gab, befand sich die Basler Industrie 1945 in einer ausgezeichneten Verfassung. Die Firmen hatten die Gewinne früherer Zeiten in die Modernisierung der Produktion investiert und verfügten nun über die praktisch einzigen funktionstüchtigen Anlagen in Europa.
Mit der nach Kriegsende einsetzenden Hochkonjunktur profitierten sie dementsprechend stark. Die in Basel hergestellten Güter waren qualitativ überlegen und international sehr gefragt. Nur die Kapazitäten und die verfügbaren Rohstoffe begrenzten die Absatzzahlen.
An diese Zeit des Aufschwungs kann sich Paul Nickler gut erinnern. Als er 1947 bei Ciba seine Lehre als Laborant antrat, sah das Klybeck noch ganz anders aus. Da standen zwar bereits moderne Produktionsgebäude, dazwischen fand man aber auch noch Schrebergärten und sogar Bauernhöfe am Flüsschen Wiese. Und dann gab es die alten, schäbigen Hütten am Rhein, wo an offenen Holzkesseln bis in die 1950er-Jahre Anilinfarbstoffe hergestellt wurden. Eine schmutzige Angelegenheit, wie sich Nickler erinnert: «Am Rhein unten war die Farbproduktion, dort hat man rote und grüne Farben produziert. Das waren arme Kerle. Die waren stets voller Farbe, die auch nach dem Duschen nicht abging.»
Doch der lästige Farbenstaub bei der Anilinfarbenproduktion war nur ein Problem. Die Arbeit in diesen Hütten ohne Lüftung oder Schutzkleidung war auch sehr ungesund, und die Abwässer landeten im Rhein, was damals üblich und völlig legal war. Erst viel später, in den 1970er-Jahren, konnten sich ökologische Aspekte und ein konsequentes Sicherheitsdenken in den Firmen durchsetzen, wie sich der pensionierte Chemiker Giovanni Bonavia erinnert. «Wir haben versucht, die Probleme und Anliegen der Bevölkerung zu respektieren. Und weil man hie und da auch Geruchsemissionen hatte, beschloss man, eine sogenannte Schnüffelequipe einzustellen. Die Leute sind im Areal herumgelaufen, haben ihre Berichte erstellt und haben auch Messungen gemacht und immer berichtet.»
Das Ende einer glorreichen Ära: Verlassene Farbstofflabors im Bau 411 des Klybeckareals (Aufnahme von 2019).
Die Ausweitung der Farbstoffproduktion führte dazu, dass 1956 an der Klybeckstrasse – wo die Tramhaltestelle auch heute noch Ciba heisst – ein grosses und hochmodernes Farbstoff-Produktionsgebäude eröffnet wurde. Der sogenannte Bau 90 war eines der ersten mehrstöckigen Gebäude auf dem Klybeckareal.
Gleich daneben, mitten im Herzen des Klybeck, stand das damals höchste Bauwerk der Schweiz. Der schneeweisse und 120 Meter hohe Kamin war bereits ein Jahr zuvor fertiggestellt worden. Diese beiden markanten Bauwerke repräsentierten die Bedeutung, die die Farbstoff- und Chemikalienproduktion für Ciba und das Klybeckareal, aber auch für die Stadt Basel als Ganzes hatte.
In einer Publikation der Ciba aus den 1950er-Jahren wird die vielfältige Welt der Farbstoffe so beschrieben: «Der grösste Teil wird zum Färben und Bedrucken von Textilien gebraucht … unsere Farbstoffe werden aber auch für Leder, Papier, Felle und Pelze, Holz und Glasfasern, Aluminium und Kunststoffe, Tinten, Lacke und Seifen, ja sogar zum Färben von Lebensmitteln verwendet.»
Die gleiche Broschüre listet auch eine lange Reihe mit insgesamt 81 verschiedenen Farbstoffsortimenten auf, von denen jedes einzelne wiederum Dutzende Nuancen umfasste. Da gab es beispielsweise Neolanfarbstoffe für Wolle, Oxanalfarbstoffe für oxydiertes Aluminium oder Coprantinfarbstoffe für den Textildruck. Alle basierten auf unterschiedlichen chemischen Strukturen und komplexen Färbeverfahren.
Max Bitterli erlebte diese Boom- und Innovationsphase während seiner Zeit als Textillaborant und Farbstofftechniker bei Ciba. «Als ich 1957 eintrat, waren die Reaktivfarbstoffe entwickelt worden, die eine hohe Qualität hatten, waschecht waren, was früher, bei den Direktfarbstoffen, nicht der Fall war.»
Doch das Wachstum der Basler Industrie blieb nicht nur auf neue Farbstoffsortimente beschränkt. Mit der Erfindung von Araldit im Jahr 1946 machte Ciba bei den Kunstharzen einen wichtigen Schritt, und nach der Entdeckung des Insektizids DDT im Jahr 1939 beschleunigte sich auch bei Geigy die Umsatzentwicklung, um nur ein paar Beispiele aus den vielfältigen Aktivitäten der Betriebe zu nennen.
So kann das Vierteljahrhundert nach Ende des Zweiten Weltkriegs, also bis zur Fusion von Ciba und Geigy im Jahr 1970, als eine Periode mit ausserordentlich hohen Wachstumsraten bezeichnet werden. Die Umsätze der Basler Chemie- und Pharmaunternehmen stiegen vom Millionen- in den Milliardenbereich.
Frühe Erfolgsprodukte der Basler chemisch-pharmazeutischen Industrie.
Dieses Wachstum wurde in allen Bereichen von Ciba, Geigy und Sandoz verzeichnet. Durch den Zukauf neuer Geschäftsbereiche stieg der Umsatz weiter an. So erweiterte etwa Ciba Ende der 1950er-Jahre mit der Ilford-Fotochemie und den elektronischen Geräten von Mettler-Toledo ihre Geschäftsbereiche. Auch die internationale Präsenz wurde stetig ausgebaut. Waren es bei Sandoz 1956 noch 19 ausländische Tochterunternehmen, zählte man zehn Jahre später, 1966, bereits 40.
Doch es gab auch Unterschiede zwischen den Basler Unternehmen. So war es bei Ciba und Sandoz immer mehr die Pharmasparte, die das Umsatz- und Gewinnwachstum ermöglichte, während bei Geigy die Agrochemikalien im Vordergrund standen. Sie trugen wesentlich dazu bei, dass Geigy 1968 den Ciba-Umsatz übertreffen konnte. Zwischen 1956 und 1966 stiegen die Verkäufe bei Geigy von 511 Millionen auf 2 Milliarden Franken, 1968 lagen sie dann schon bei 2,7 Milliarden.
Ein letztes Aufbäumen
Die Fusion von Ciba und Geigy im Jahr 1970 brachte dann nochmals neuen Schwung in das immer schwieriger werdende Farbstoff- und Chemikaliengeschäft, wie sich Max Bitterli erinnert: «Der Zusammenschluss war wirklich positiv, denn die beiden Firmen konnten so bei den Woll- und Synthesefaserfarbstoffen gute Fortschritte erzielen.»
Doch bereits einige Jahre nach der Fusion neigten sich die goldenen Zeiten der Basler Chemieindustrie definitiv dem Ende zu. Durch den immer härteren globalen Wettbewerb und die sinkenden Margen und Erträge wandelten sich die Chemikalien schliesslich vom einstigen Wachstumsmotor zum Ballast im Portfolio der Basler Grosskonzerne.
Fortan fokussierten sie sich auf den aufstrebenden, hoch profitablen Pharmabereich und lagerten die Chemiesparten in den 1990er-Jahren in eigenständige Firmen wie Clariant und Ciba Spezialitätenchemie aus.
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